Gesetzliche Möglichkeiten zur Minderung von Vertragsstrafen in Polen

Vertragsstrafen Polen

Vertragsstrafen sind ein sehr beliebtes Instrument zur Sanktionierung der Nichterfüllung von Sachleistungsverpflichtungen (z.B. fristgerechte Baufertigstellung). Das polnische Zivilgesetzbuch (pol. kodeks cywilny) regelt nur allgemein die Voraussetzungen für die Milderung (Herabsetzung) einer Vertragsstrafe. Aus diesem Grund hat die polnische Rechtsprechung Kriterien festgelegt die zu einer Milderung führen können. Jeder Fall sollte daher individuell analysiert und behandelt werden, wozu die unten erörterten Grundsätze behilflich sein könnten.

Vertragliche Grenzen

Sollten wir ein Unternehmen vertreten, auf das vertraglich eine Vertragsstrafe auferlegt sein könnte, ist es ratsam bei der Vertragsgestaltung eine Obergrenze für die Vertragsstrafe festzulegen (z. B. 20 % der Nettovertragsvergütung). Das Fehlen einer solchen Bestimmung bedeutet, dass die Höhe der Vertragsstrafe im Prinzip unbegrenzt ist. Dies ist besonders wichtig bei Vertragsstrafen für Verspätungen, bei denen die Höhe der Strafe mit jedem Tag zunehmen kann, sowie bei Vertragsstrafen, die aus verschiedenen Gründen erhoben werden können (z. B. Verzögerungen bei der Fertigstellung der Arbeiten, Verstöße gegen Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften, Verletzung der Meldepflicht usw.).

Gesetzliche Gründe – richterlicher Ermessensspielraum

Wurde keine vertragliche Begrenzung festgelegt, kann die in Artikel 484 § 2 des polnischen Zivilgesetzbuches (pol. kodeks cywilny) vorgesehene Möglichkeit der Milderung (Herabsetzung) der Vertragsstrafe ein Rettungsanker sein. Gemäß dieser Vorschrift kann eine Minderung der Vertragsstrafe verlangt werden: (a) wenn die Verpflichtung im Wesentlichen erfüllt worden ist oder (b) wenn die Vertragsstrafe grob überhöht ist. Diese beiden Voraussetzungen sind gleichwertig.

Das polnische Zivilgesetzbuch (pol. kodeks cywilny) legt jedoch nicht ausdrücklich die Grundsätze für die Herabsetzung der Vertragsstrafe sowie die Art und Weise der Bestimmung ihrer endgültigen Höhe fest. Dies wird durch ein weitreichendes richterliches Ermessen entschieden. Der Grad der richterlichen Ingerenz in die Höhe der Vertragsstrafen kann sehr weit reichen – das Gericht trifft seine Entscheidung auf der Grundlage der Umstände des konkreten Sachverhaltes und stellt fest, ob die Vertragsstrafe in einer bestimmten Situation unangemessen ist oder nicht. Es gibt also keinen einheitlichen Maßstab, und die Entscheidung, dass eine Vertragsstrafe herabgesetzt werden sollte, ist das Ergebnis einer Reihe von verschiedenen, fallspezifischen Faktoren.

Zwingender Charakter der Bestimmungen über die Minderung

Die Bestimmung über die Herabsetzung der Vertragsstrafe ist absolut verbindlich. Dies bedeutet, dass die Parteien die Möglichkeit einer gerichtlichen Herabsetzung der Vertragsstrafe im Vertrag nicht ausschließen können. Der Gesetzgeber sah daher die Notwendigkeit, das Interesse des Schuldners zu schützen und eine gerichtliche Überprüfung der Höhe der daraus resultierenden Verpflichtungen vorzunehmen. Dies ist ein Schutz vor übermäßig harten Folgen für den Schuldner, der sich aus der Notwendigkeit ergibt, die Vertragsgerechtigkeit in dieser Hinsicht wiederherzustellen und einen möglichen Vorteil für den Gläubiger auszuschließen.

Bedingung der wesentlichen Erfüllung

Eine wesentliche Erfüllung der Leistung liegt vor, wenn trotz bestimmter Versäumnisse des Schuldners das Interesse des Gläubigers in erheblichem Umfang befriedigt wird. Dies bedeutet, dass das Interesse des Gläubigers an der Erfüllung der Verpflichtung zu einem Teil befriedigt wurde, der einer vollständigen Erfüllung nahe kommt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein vertragliches Werk fertiggestellt wurde, der Schuldner jedoch mit der Übergabe der zugehörigen Dokumentation in Verzug geraten ist, wobei das Fehlen dieser Dokumentation die Nutzung des Werks nicht verhindert und in der Praxis nicht von großer Bedeutung ist. In diesem Zusammenhang wird auch geprüft, ob die daraus resultierende Verspätung die weitere ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrags gefährdet hat und ob sie zu einer Verletzung eines wesentlichen Interesses des Gläubigers geführt hat, der die Vertragsstrafe erhoben hat (z. B. eine geringfügige Verspätung bei einem Teiltermin, die später nachgeholt wurde und den endgültigen Termin nicht gefährdete und dem Gläubiger keine weiteren Nachteile verursachte).

Überhöhte Vertragsstrafe und Nebenkriterien

Der Begriff der groben Überhöhung der Vertragsstrafe ist ein unbestimmter Begriff, der bedeutet, dass die Vertragsstrafe im Vergleich zu dem, was dem Gläubiger in einer bestimmten Situation zustehen sollte, unangemessen (unverhältnismäßig) ist. Dabei handelt es sich um die Beurteilung eines objektiven, externen Beobachters, der die Gesamtheit der Umstände des Falles berücksichtigt. Da der Begriff der ungewöhnlich überhöhten Vertragsstrafe sehr weit gefasst ist, werden in Lehre und Rechtsprechung eine Reihe von Hilfskriterien herangezogen, um zu bestimmen, ob die Vertragsstrafe herabgesetzt werden sollte. Der Katalog ist offen – im Folgenden werden die gängigsten Beispiele vorgestellt.

Höhe des erlittenen Schadens

Eines der Hilfskriterien ist die Höhe des Schadens, den der Gläubiger erlitten hat (oder besser gesagt, die Entschädigung, die dem Gläubiger nach allgemeinen Grundsätzen zugestanden hätte, wenn die Vertragsstrafe nicht vereinbart worden wäre). Bei diesem Kriterium wird die Höhe der erhobenen Vertragsstrafe mit der Höhe des Schadens verglichen, der dem Gläubiger durch das Verhalten des Schuldners entstanden ist. Stellt die Vertragsstrafe ein Vielfaches des dem Gläubiger tatsächlich entstandenen finanziellen Schadens dar, kann dies auf ein Missverhältnis zwischen den beiden Werten hindeuten, was eine Herabsetzung der Vertragsstrafe rechtfertigen kann. Dieses Kriterium soll dazu dienen, die Höhe der Vertragsstrafe an die Gegebenheiten des Einzelfalls anzupassen und ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner zu gewährleisten.

Die Vertragsstrafe darf nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Gläubigers führen und ihm einen weitreichenden, ungerechtfertigten finanziellen Vorteil bei der Wiedergutmachung des Schadens nach allgemeinen Grundsätzen verschaffen. Auf der anderen Seite schützt die Vertragsstrafe den Gläubiger durch ihren Sanktionscharakter vor unsachgemäßer Vertragserfüllung seitens des Schuldners.

Grad der Benachteiligung des Gläubigers

Bei der Bemessung von Vertragsstrafen sind auch die möglichen nachteiligen Folgen zu berücksichtigen, die dem Gläubiger durch die nicht ordnungsgemäße Vertragserfüllung entstanden sind (z. B. durch Überschreitung von Vertragsfristen). Sind diese Folgen geringfügig und führen nicht zu einer tatsächlichen Verletzung eines wesentlichen und berechtigten Interesses des Gläubigers (materiell und immateriell), kann dies eine Herabsetzung der Vertragsstrafe rechtfertigen. In diesem Zusammenhang wird auch geprüft, wie komplex die von dem Schuldner zu erfüllende Verpflichtung gewesen ist, ob die Erfüllung des Vertrags einen langwierigen Prozess darstellte und wie sich die daraus resultierende Verzögerung zur Dauer der Vertragserfüllung und den praktischen Standards in der betreffenden Branche verhält. Eine geringfügige Verzögerung bei der Ausführung eines komplexen, langwierigen Bauvorhabens kann ein Anreiz für eine Mäßigung der Vertragsstrafe sein (natürlich nur, wenn es keine anderen Anhaltspunkte für Hindernisse für eine Mäßigung gibt – z. B. Verlust von EU-Mitteln durch den Investor infolge der Nichteinhaltung der Fertigstellungsfristen).
In diesem Zusammenhang wird auch überprüft, ob zusätzliche Umstände vorliegen, die darauf schließen lassen, dass die Verzögerung die Ziele des Gläubigers in Bezug auf die zu erfüllende Verpflichtung des Schuldners beeinträchtigt hat, z. B. die Möglichkeit, die errichtete Anlage zu nutzen. Es könnte sich herausstellen, dass der Gläubiger seine anderen Einrichtungen mit ähnlicher Funktion hätte nutzen können. Die unbedeutenden Unannehmlichkeiten für den Gläubiger sind ein weiterer Grund für eine Herabsetzung der grob überhöhten Vertragsstrafe.

Grad des Verschuldens seitens des Schuldners

Im Rahmen der Bestimmung einer grob überhöhten Vertragsstrafe wird auch der Grad des Verschuldens des Schuldners an der Verletzung der vertraglichen Pflichten analysiert. Dabei ist zu prüfen, ob der Gläubiger oder andere Beteiligte durch ihr Verhalten die nicht ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrags durch den Schuldner in irgendeiner Weise beeinflusst haben. Häufig können solche Voraussetzungen zu der Feststellung führen, dass die Vertragsstrafe bei fehlendem Verschulden überhaupt nicht gerechtfertigt ist. Bei der Beurteilung des Verschuldensgrades des Schuldners kann zum Beispiel berücksichtigt werden, dass sich die Unterzeichnung ieines Abschlussprotokolls aufgrund langwieriger ungerechtfertigter Formalitäten seitens des Auftraggebers verzögert hat. In diesem Zusammenhang sind daher Billigkeitskriterien zu berücksichtigen, die sich auf Umstände beziehen, für die der Schuldner nicht unmittelbar verantwortlich ist und die zur Verlängerung der Frist für die Erfüllung des Vertragsgegenstands beigetragen haben.

Dies erfordert auch eine Prüfung so genannter konkurrierender Ereignisse, d. h. Ereignisse, die entweder von außen oder von anderen Parteien ausgehen, zur gleichen Zeit eintreten und z. B. die daraus resultierende Verzögerung beeinflussen. Dies ist z. B. der Fall, wenn der Auftragnehmer den Beginn von Bauarbeiten aufgrund seiner schlechten Arbeitsorganisation verzögert, die Unmöglichkeit der Ausführung der Arbeiten aber gleichzeitig auf unerwartete schlechte Witterungsbedingungen oder die Nichtübergabe der Baustelle an ihn durch andere Auftragnehmer zurückzuführen ist.

„Finanzielles Ergebnis des Vertrages“

Ein wichtiger Faktor, der sich auf die Minderung der Vertragsstrafe auswirkt, ist das finanzielle Ergebnis, das der Schuldner bei der Erfüllung des Vertrags erzielt hat. Insbesondere sollte die Vertragsstrafe daher in einem angemessenen Verhältnis zu der von ihm aus dem Vertrag erzielten Marge stehen. Ein weitreichender Schaden aus dem Vertrag (aufgrund von Umständen, die der Schuldner nicht zu vertreten hat – z. B. plötzlicher und unvorhersehbarer Anstieg der Material- und Arbeitspreisen) kann ein Grund für eine Minderung der Vertragsstrafe sein.

Eine Milderung der Vertragsstrafe ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn die Höhe der Vertragsstrafe und der Schaden des Schuldners in einem groben Missverhältnis zu dem Vorteil stehen, den der Gläubiger durch die Vertragsstrafe erlangt (Erlangung eines erheblichen zusätzlichen Geldbetrags, während die tatsächlichen Nachteile im Zusammenhang mit der Verletzung der vertraglichen Pflichten durch den Schuldner vernachlässigbar sind). Die geforderte Vertragsstrafe darf also nicht grob repressiv für den Schuldner und ungerechtfertigt übermäßig „attraktiv“ für den Gläubiger sein.

Doppelte Vertragsstrafe für dieselbe Sache

Eine Strafmilderung kann gerechtfertigt sein, wenn die verlangten Vertragsstrafen tatsächlich dieselbe Vertragsverletzung beheben – z. B. einen Verzug bei der Vertragserfüllung, wobei sich eine Vertragsstrafe auf die Überschreitung einer Teilfrist und die andere auf die Überschreitung der Endfrist bezieht und sich die Vertragsstrafenfristen kumulativ überschneiden. Dies liegt daran, dass eine Situation entstehen kann, die in der Praxis nur zur Nichteinhaltung der Endfrist führt und die diesbezügliche Vertragsstrafe in gewisser Weise die zuvor eingetretene Verzögerung in anderen Phasen der Projektdurchführung miteinschließt.
Desweitern kann eine Milderung gerechtfertigt sein, wenn die Vertragsstrafe zweimal kumulativ für dieselbe Verletzung einer Vertragspflicht verhängt wird (z. B. eine Vertragsstrafe für die Nichtbenachrichtigung des Investors über die Einsetzung von Subunternehmern).


Sollten Sie Fragen zum Thema Vertragsstrafen in Polen haben bitte ich um Kontakt unter der E-Mail kontakt@kanzlei-pozniak.de oder unter der Telefonnummer+48 665 246 969.

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